Prof. Dr. Rainer Hartmann

Der Finanzgerichtsprozess

  • Revision
  • Die Finanzgerichtsbarkeit ist zweistufig aufgebaut, d.h. „über“ dem Finanzgericht steht allein der Bundesfinanzhof (BFH) in München. Als Revisionsgericht prüft der BFH ein Urteil des Finanzgerichts nur auf Rechtsfehler, prüft z.B. Verfahrensverstöße des Finanzgerichts oder legt etwa ein Steuergesetz anders aus. Bei Rechtsstreitigkeiten von grundsätzlicher Bedeutung lässt das Finanzgericht in seinem Urteil die Revision zum BFH zumeist ausdrücklich zu. Die unterlegene Partei kann nun entscheiden, ob sie weiter vor dem BFH in München klagt.
    Ohne ausdrückliche Revisionszulassung kann die unterlegene Partei gegen ein Finanzgerichts-Urteil Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH einlegen mit dem Ziel, dass der BFH die Revision zulässt.
  • Mündliche Verhandlung
  • Der Rechtsstreit wird in einem einzigen – nur ausnahmsweise in mehreren Terminen – vor dem Finanzgericht verhandelt. Auf der Richterbank des Finanzgerichts sitzen in voller Senatsbesetzung neben drei Berufsrichtern zwei ehrenamtliche Richter, die ebenfalls volles Stimmrecht besitzen. Nur in einfach gelagerten Fällen oder bei Verzicht darf auch ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Die mündliche Verhandlung sollte gut vorbereitet werden, weil die Richter den Steuerfall in entspannter Atmosphäre mit den Prozessparteien eingehend diskutieren und würdigen. Steuerpflichtiger und Finanzamt begegnen sich dabei auf Augenhöhe und völlig gleichberechtigt.
  • Rügeverzicht
  • Zahlreiche Verfahrensrechte gelten im Finanzgerichtsprozess als verzichtbar, z.B. abgewiesene und nicht weiter verfolgte Beweisanträge oder die Verletzung rechtlichen Gehörs. Hier ist der erfahrene Prozessvertreter gefordert, die verletzten Rechte zu rügen und auf eine ausdrückliche Schilderung der gerügten Verfahrensrechte seines Mandanten im Sitzungsprotokoll hinzuwirken. Erfolgt dies nicht, können Urteile des Finanzgerichts im Hinblick auf solche Verstöße nicht mehr vom Bundesfinanzhof aufgehoben werden.
  • Vergleich / Tatsächliche Verständigung
  • Zwar ist im Steuerrecht als Teil des öffentlichen Rechts ein Vergleich über Rechtsfolgen nicht zulässig, aber bei Streitigkeiten über Aufteilungsmaßstäbe, Teilwertansätze oder z.B. der Höhe von verdeckten Gewinnausschüttungen sind Einigungen in der mündlichen Verhandlung zumeist die Regel. Man nennt dies „tatsächliche Verständigung“. In bestimmten Konstellationen empfiehlt sich die Erhebung einer Klage allein mit diesem Ziel. Zu bedenken ist immer die Kostenfolge einer tatsächlichen Verständigung: Die Gerichtskosten werden je nach Sachverhalt meist geteilt. So zahlt der Kläger die Hälfte, während das Finanzamt ohnehin von der Entrichtung der Gerichtskosten gesetzlich befreit ist. Oft muss der Kläger im Vergleichsfall seinen Prozessvertreter selbst zahlen, weil das Finanzamt sich zumeist dagegen sperrt, einen Teil der Prozesskosten des Steuerpflichtigen mitzutragen.
  • Kosten / Streitwert
  • In einem Gerichtsverfahren trägt immer die unterlegene Partei die Kosten; dies kann auch das Finanzamt sein.  Allerdings muss bei Klageeinreichung der Kläger einen Gerichtskostenvorschuss an die Justizkasse entrichten, der stets 284,00 € beträgt. Gerichtskosten und gesetzliches Honorar des Prozessvertreters bestimmen sich nach dem Streitwert. Dieser wird erst nach Beendigung des Prozesses vom Finanzgericht verbindlich bestimmt; er entspricht in der Regel der individuellen Steuerersparnis des Mandanten. Vor Erhebung einer Klage sind daher nur Schätzungen über die endgültigen Kosten im Falle eines ungünstigen Klageverlaufs möglich. Der Mindeststreitwert im Finanzgerichtsverfahren beträgt immer 1.500 €, auch wenn über eine geringfügige Steuerersparnis gestritten wird.

    Kosten-Beispiel für einen Finanzgerichtsprozess  (gültig seit August 2013):
    Der Rechtsstreit geht um eine individuelle Steuerersparnis von 7.000 €. Dies ist der Streitwert.
    Gerichtskosten736,00 €
    Gesetzliches Honorar Prozessvertreter1.134,00 €
    Pauschale Post (Prozessvertreter)20,00 €
    + 19 % Umsatzsteuer des Prozessvertreters219,26 €
    Gesamtkosten (bei verlorener Klage) 2.109,26 €
    Hinzu kommt gesetzlicher Kostenersatz für die Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht, z.B. Bahnfahrkarte.
  • Nichtzulassungsbeschwerde
  • Hat das Finanzgericht in seinem Urteil die Revision nicht zugelassen, kann die unterlegene Partei dennoch die Revision mittels sog. Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) beantragen. Die Anforderungen, die der BFH an die Darlegung des Zulassungsgrundes legt, sind derart hoch, dass nur wenige Nichtzulassungsbeschwerden tatsächlich Erfolg haben.
  • Aussetzung der Vollziehung
  • Wurde bereits für die Dauer des Einspruchsverfahrens Aussetzung der Vollziehung (AdV) vom Finanzamt gewährt, so muss der Steuerberater nach Einreichung der Klage erneut beim Finanzamt einen Antrag auf AdV bis zum Abschluss des Klageverfahrens vor dem Finanzgericht stellen. In der Regel wird diesem Antrag stattgegeben. Eine völlig andere Konstellation besteht, wenn sich das Finanzamt von Anfang an im Einspruchsverfahren weigert, AdV zu gewähren. Hiergegen ist vorläufiger Rechtsschutz vor dem Finanzgericht möglich. Dabei geht es nur um den Antrag auf Steuerstundung für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens bzw. des Klageverfahrens.
  • Amtsermittlung / Beweisanträge
  • Vor dem Finanzgericht gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (auch Untersuchungsgrundsatz genannt). So muss das Gericht den Sachverhalt selbst (von Amts wegen) ermitteln und Beweise erheben, also ggf. Zeugen laden, auch wenn diese vom Kläger nicht als solche benannt worden sind. Selbstverständlich sollte der Kläger bei der Ermittlung des Sachverhalts mithelfen. Bei Unaufklärbarkeit einer relevanten Sachverhaltsfrage muss das Finanzgericht nach objektiver Beweislast entscheiden.